Wozu Beratung?
Händigkeit und deren Ausformung und Ausprägung ist nach wie vor ein Thema, über welches zum Einen große Unwissenheit herrscht und zum Anderen zahlreiche Vorurteile existieren. Unter anderem jenes, dass sich die angelegte dominante Hand eines Kindes von selbst durchsetzt, wenn es von Außen kein aktives Zwang ausübendes Eingreifen gibt.
Nach wie vor wird die Anzahl der linkshändigen Menschen unterschätzt. Es ist durchaus ein Anteil von 20-30% der Bevölkerung linkshändig veranlagt. Sichtbar innerhalb von Deutschlands ist dieser hohe Anteil noch nicht. Das legt nahe, dass viele Linkshänder auf die rechte Hand umgeschult worden sind. Wurde früher in der Schule prinzipiell auf die rechte Hand umgeschult, auch unter Zwang, ist dies heute offiziell nicht mehr der Fall.
Wie und warum erfolgt eine Umschulung, wenn von Außen aktiv kein Zwang ausgeübt wird?
Der Einfluss darauf, ob sich die angelegte dominante Hand durchsetzt, beginnt schon in der ersten Lebenszeit. Kinder lernen von ihren engen Bezugspersonen. Sie beobachten und probieren, sie ahmen nach. Sind die Bezugspersonen Rechtshänder, ist es möglich, dass das Kind schon dahingehend beeinflusst wird, die nicht dominante Hand als bedeutsam anzusehen. Dazu kommt die indirekte Aufnahme dessen, was für Erwartungshaltungen unbewusst herrschen und wie sensibel die Kinder sind, diese Erwartungshaltungen zu erspüren. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen dabei Erfahrungen, die einzelne Familienmitglieder im Zusammenhang mit Linkshändigkeit machen mussten oder welche festen Überzeugungen bezüglich der Händigkeit innerhalb der Familie herrschen.
Da die Kultur weitestgehend auf Rechtshänder ausgerichtet ist, kann eine Umschulung einfach schon begünstigt werden, in dem man dem Kind das Handgeben zur Begrüßung beibringt oder den Tisch eindeckt. Vieles wird im Umgang mit Kindern insgesamt außer Acht gelassen aus Unwissenheit oder einfach deshalb, da die Händigkeit ein vielfach unterschätztes Thema darstellt, auch bezogen auf das Ausmaß der Folgen einer Umschulung.
Leider ist dieses Thema in den Ausbildungsgängen von Erzieher/innen, Grundschullehrer/innen und Lehrer/innen ein eher übergangenes, so dass auch seitens der Erziehungs- und Bildungseinrichtungen nicht selten keine Sensibilität und Aufmerksamkeit vorherrschend ist. Kinder können sich in Abhängigkeit von der eigenen Persönlichkeitsstruktur und der Art und Weise der Mischung der äußeren Einflüsse selbst auf die nicht dominante Hand umschulen mit allen Konsequenzen, die eine solche Umschulung mit sich bringt.
War es bis vor wenigen Jahren so, dass sich bis zum Schuleingang der Handgebrauch stabil ist, beobachtet man heute eine große Anzahl von Kindern, die auch bei Schuleintritt noch keine ausgeprägte dominante Hand besitzen. Mit der ersten Klasse wird dann von Außen nicht selten eine schnelle Entscheidung herbeigeführt: die Mehrheit hält den Stift rechts. Das Kind schaut darauf bzw. vielleicht noch darauf, was eventuell ein Freund oder eine Freundin macht und darauf, was der/die Lehrer/in sagt und macht.
Kommt es zu einer Umschulung nur bei Linkshändigen Kindern oder auch bei rechtshändigen?
Links- oder Rechtshändigkeit wird vererbt. Das heißt, auch linkshändige Eltern können rechtshändige Kinder haben, wenn Rechtshändigkeit innerhalb der Familien auftritt, so wie rechtshändige Eltern linkshändige Kinder haben können.
Auch von Natur aus rechtshändige Kinder können eine Umschulung erleiden. Das tritt meist dann auf, wenn die Eltern oder engen Bezugspersonen linkshändig sind. Besonders wenn diese dann schlechte Erfahrungen mit der Behandlung der eigenen Händigkeit machen mussten und darunter gelitten haben, nehmen sie sich dann vor, dass das ihren Kindern nicht passieren soll und dadurch entsteht dann eine unbewusst wirkende Erwartungshaltung bezüglich des Kindes, welches von diesem wieder aufgenommen werden kann.
Welche Folgen hat eine Umschulung für die Betroffenen?
Eine Umschulung ist nach J.B. Sattler ein massiver Eingriff ins Gehirn (vgl. J.B. Sattler: Der umgeschulte Linkshänder oder der Knoten im Gehirn, Auer-Verlag, 2008, S. 22). Die Folgeerscheinungen davon können sehr vielfältig sein und jede/r Betroffene entwickelt eine etwas andere Ausprägung. Je nach Kompensationsmöglichkeiten der Betroffenen können sich Lernschwierigkeiten ergeben. Eine Symptomüberschneidung kann sowohl zu ADHS/ADS als auch zur Lese- Rechtschreibschwäche bestehen. Des Weiteren können Konzentrationsstörungen, Gleichgewichtsstörungen, Verspannungen, Kopfschmerzen, Migräne, depressive Störungen, Burnout, Schwierigkeiten im sozialen Umgang, Sprechstörungen, Zurückgezogenheit etc. entstehen.
Weiterführende Literatur
Johanna Barbara Sattler:
A. Vasterling, G. Weiland, J.B. Sattler: Linke Hand-Rechte Hand: Ein Ratgeber zur Händigkeit, Schulz-Kirchner-Verlag, Idstein, 2011.